Es war einmal ein Sportverein in Hamburg, der beschloss, nicht länger in der zweiten Reihe zu baggern, sondern in der Volleyball Bundesliga auf Blockhöhe mitzuspielen.
Und so geschah es, dass der Eimsbütteler Turnverband (ETV) Hamburg den Sprung in die höchste deutsche Spielklasse der Frauen wagt - mit einem Paketaufstieg, einer Prise norddeutschem Understatement und dem absoluten Willen, Frauensport in Hamburg in den Fokus zu rücken.
Von der Breitensport-Oase zur Bundesliga-Bühne
Der ETV ist kein unbeschriebenes Blatt im Hamburger Sport. Mit aktuell 20.000 Mitgliedern, 24 Abteilungen und über 40 verschiedenen Sportarten ist die 1889 gegründete Gemeinschaft der zweitgrößte Breitensportverein Deutschlands. "Mit der Eröffnung eines zweiten Sportzentrums und einer wachsenden Mitgliederzahl stellte sich irgendwann die Frage: Wie machen wir aus ETV eine Marke, die sich nicht nur in der Halle, sondern auch in den Herzen der Hamburger festsetzt?", berichtet der Vorstandsvorsitzende Frank Fechner. Die Antwort war klar: Fokus auf die Leistungsteams - genauer gesagt ein Leistungsteam, nämlich die Volleyball-Frauen, die aktuell noch in der 2. Bundesliga Pro powered by SNOWTREX aktiv sind. Und genau in diesem Moment klopfte die Volleyball Bundesliga mit einem Angebot an die Tür: Paketaufstieg mit einer Nichtabstiegsgarantie für zwei Saisons. "Es war eine Einladung von der VBL für ambitionierte Sportvereine. Wir sind sehr glücklich, dass der ETV dieses Angebot angenommen hat. Wir glauben an diesen Standort und sehen das große Potenzial", sagt Julia Retzlaff, Geschäftsführerin der Volleyball Bundesliga.
Frauensport in Hamburg in den Fokus rücken
"Wenn es die Option für uns im Männervolleyball gegeben hätte, hätten wir es wahrscheinlich nicht gemacht", gibt Christian Prüß zu, der eigentlich gar nicht so richtig weiß, wie seine Rolle im Verein zu bezeichnen ist. Leitung Marketing und Sponsoring steht in seiner Signatur, Projektmanager Aufstieg wäre aber vielleicht passender. Prüß kam vor etwa sechs Monaten vom FC St. Pauli, einer anderen Größe in Hamburg, in einer anderen, noch größeren Sportart. Und schnell war klar: "Hamburg hat keinen Erstligisten bei den Frauen, dafür viele bei den Männern. Da wollte ich ran", sagt Prüß. "57.000 Zuschauende waren kürzlich beim DFB-Pokal-Spiel der Frauen zwischen Hamburg und Bremen. Klar, es ist Fußball, klar, es ist ein Derby, aber es zeigt doch, welches Potenzial Frauensport in Hamburg hat."
Der ETV will nicht nur mitspielen, sondern zeigen, dass Frauenvolleyball genau die Aufmerksamkeit verdient, die sich auch der Frauenfußball zuletzt gesichert hat. Der Plan ist klar: Steine statt Beine - also erst die Strukturen schaffen, bevor Weltstars verpflichtet werden. "Wir gehen gewissermaßen All-In. Aber langsam und mit Bedacht. Und über kurz oder lang muss eines klar sein: Die Spielerinnen sollen sich auf Asse und Blocks konzentrieren, nicht auf Plakate kleben am Spieltag", so Prüß weiter.
Aufstieg ja - aber mit Köpfchen
Im Verein selbst wurde lange beraten, über Monate hinweg alle Zweifel ausgeräumt, so dass man jetzt mit aller Macht hinter dem Projekt Aufstieg steht. Bei aller Euphorie, die die Nachricht im Verein, bei den Fans und auch der hiesigen Medienlandschaft auslöste, will der ETV mit Bedacht vorgehen. Anna Hartig ist nicht nur eine erfahrene Spielerin. Die Mittelblockerin hat bereits erfahren, wie es sich anfühlt, wenn das Märchen nicht gut ausgeht: "Ich habe den Traum schon mal platzen sehen - am Ende leiden alle, wenn man eine Saison mittendrin abbrechen muss. Ich habe das Gefühl, dass wir das vernünftig angehen und da nicht naiv sind." Hartig hatte in der Saison 2023/24 mit dem VC Neuwied 77 eine bittere Erfahrung gemacht und war dann nach Hamburg gewechselt.
Auch Prüß unterstreicht: "Wir werden nicht direkt Deutscher Meister. Aber wenn wir im ersten Jahr einen Satz gewinnen, im zweiten ein Spiel holen und im dritten nicht absteigen, haben wir viel gewonnen."
Verlieren ist eingepreist
Der Kader soll behutsam aufgebaut werden, mit einer gesunden Mischung aus Erfahrung und Nachwuchs. "Ein gutes Nervenkostüm wird man schon brauchen", sagt Prüß lachend. Jede aktuelle Spielerin, die den Weg mitgehen will, kann das tun. Und so steht der Plan. "Wenn es so kommt, gehen wir halt mit einem größeren Kader in die Saison. Und dann könnte man situativ aufstellen und gegen Teams, gegen die man sich etwas ausrechnet, alles reinwerfen", wagt Prüß ein Blick in die Zukunft. Das klingt nach einem Rezept für spannende Spiele - und wahrscheinlich auch für einige graue Haare bei den Verantwortlichen.
Hartig ergänzt: "Ein mentaler Switch muss passieren. Ich komme dann nicht mehr drei Mal die Woche zum Training, um zu zocken und dann mal ein lustiges Spiel zu haben. Andere Teams scouten und bereiten sich mit Videoanalyse vor. Sie trainieren positionsspezifisch und individuell. Da müssen wir über kurz oder lang hinkommen." Die 24-Jährige ist heiß auf die 1. Bundesliga und hofft, diesen Leistungsgedanken auf viele ihrer Mitstreiterinnen übertragen zu können. Und mit der richtigen Einstellung kann auch das Verlieren erträglich sein. "Wir setzen uns gerade gegen die großen Teams kleine Ziele - weniger als drei Aufschlagfehler oder zwei Blockpunkte machen - dann fühlt sich selbst eine Niederlage nicht mehr so schlimm an. Und wenn uns der Switch gelingt, werden wir uns automatisch bessern." Hartig spielt seit 11 Jahren Volleyball, wechselte vom Handball. Während des Studiums spielte sie am Eckerd College in Florida. "Meine Zeit in Amerika hat mir gezeigt, dass Volleyball ein mentaler Sport ist und man mit Druck umgehen können muss. Man muss zusammenspielen, obwohl jede Position so unterschiedlich ist. Das liebe ich auch daran", erzählt sie.
Branding und Marke im coolen Retro-Schick
Christian Prüß hat bereits erste Erfolge zu verzeichnen. Die Hamburger Volksbank hat die Namensrechte gekauft. Der Verein geht als ETV Hamburger Volksbank Volleys in die 1. Bundesliga. Dafür wurde bereits eigens ein Logo entworfen und präsentiert. Es ist inspiriert von den großen Bildmarken der amerikanischen Sportligen der 90er Jahre und dennoch kraftvoll und modern. "Es war uns wichtig, dass es nicht generisch wirkt", sagt Prüß, der seine Leidenschaft für das Projekt nur schwer verbergen kann und weiter: "Wir brauchen eine eigene Identität und die entwickelt sich. Dafür brauchst du Begleiter für den Weg, dessen Ziel du noch nicht kennst. Und da hat sich die Volksbank mit uns auf diese Reise gemacht. Sie haben verstanden, dass dieses Narrativ, Frauensport groß zu machen, es wert ist, den Weg mitzugehen." Nun gilt es, einen Hauptsponsor zu finden, um den geforderten Etat endgültig auf die Beine zu stellen.
Hartig und Prüß verspüren viele positive Schwingungen, seit die Aufstiegskatze aus dem Sack ist. Verein, Medien und Fans sind mental dabei. Aktuell strömen 300 bis 400 Fans in die ETV Sporthalle Hoheluft, was ein spürbarer Anstieg ist. Mit dem Aufstieg hofft der Verein auf vierstellige Besucherzahlen in der CU Arena, die Platz für 2.300 Menschen bietet. Dort finden die Highlight-Spiele statt. Dafür steht der ETV Hamburg auch mit der SVG Lüneburg in Kontakt, die vor den Toren Hamburgs im Männersegment bis zu 3.200 Fans in die Arena zieht.
Der ETV Hamburg hat mit seinem Aufstieg nicht nur ein neues Kapitel aufgeschlagen, sondern ein ganz eigenes Märchen begonnen. Mit Mut, Teamgeist und einem klaren Plan haben sie die erste Hürde genommen - und wer weiß? Vielleicht heißt es eines Tages wirklich: "Und dann wurden sie Deutsche Meisterinnen."